Im Rahmen des 40 jährigen Jubiläums des NWKV hat Shimizu-sensei ein Interview gegeben.
M: Heute ist Mittwoch, der 30. Juni 2021. Ich sitze hier mit Shimizu-Sensei bei ihm zu Hause. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben.
Y: Sehr gerne.
M: Seit wie vielen Jahren machen Sie Kendo?
Y: Ich habe in Japan mit 17 Jahren acht Monate lang Kendo gemacht, aber wirklich angefangen habe ich in Deutschland 1975. Also 46 Jahre.
M: Wie sind Sie damals zu Kendo gekommen? Sowohl in Japan als auch in Deutschland.
Y: In Japan wurde ich dazu gezwungen, Kendo zu machen. In Deutschland habe ich zu dem Zeitpunkt, als ich mit Kendo wieder angefangen habe, seit sechs Jahren gelebt und habe dann festgestellt, dass ich meine japanische Identität verliere. Deswegen habe ich gedacht, dass ich wieder etwas mit Bezug zu Japan machen möchte und habe mich an meine Kendo-Zeit in Japan erinnert. Dann bin ich in Pforzheim zur Judo-Gruppe gegangen und habe dort eine Kendo-Abteilung eröffnet.
M: Obwohl Sie damals in Japan dazu gezwungen wurden, wollten Sie wieder Kendo machen?
Y: Ja, so ist das. Im Leben weiß man nie, wohin diese Zufälle führen. Und der damalige Präsident der Pforzheimer Judo-Gruppe hat sofort gesagt „Ja, das machen wir“ und so habe wir dann direkt anfangen können. Damals haben sehr wenige Leute in Deutschland Kendo gemacht. Ungefähr 40 aktive Kendoka in ganz Deutschland gab es. In Berlin, Wiesbaden, Mannheim, Stuttgart und wir haben dann in Pforzheim angefangen. Damals kannte wirklich jeder jeden. Ich kann immer noch aufzählen, wer von damals noch immer Kendo macht. Wolfgang Demski, Rainer Jättkowski, Paul-Otto Forstreuter, Dieter Ott, Bernd Klein und Jochen Nover.
M: Welche anderen Sportarten haben Sie gemacht?
Y: In Japan habe ich mit zehn Jahren mit Baseball angefangen und bin dann an eine Highschool mit einem sehr starken Baseball-Club gegangen. Bis ich 17 war, habe ich Baseball gespielt, dann habe ich mich verletzt und hatte danach Angst vor dem Ball und musste deshalb aufhören. Und danach hat mich dann mein Klassenlehrer gezwungen, Kendo zu machen. Er meinte, ich solle in eine andere Richtung gehen.
Und ich bin viel Ski gefahren. Mein Bruder hat mich immer zum Skifahren mitgenommen, seit ich zwölf oder 13 Jahre alt war. Deswegen bin ich eigentlich auch nach Deutschland gekommen. Um Skilehrer zu werden. Aber dann bin ich nicht österreichischer, staatlicher Skilehrer geworden, sondern habe einen Schein als Lehrer an einer deutschen Skischule gemacht.
M: Was ist mit anderen Budo-Disziplinen? Judo, Iaido, Jodo? Y: Unter Shiiya-Sensei habe ich auch noch ein bisschen Jodo gemacht, aber sonst nichts anderes.
M: Wer sind oder waren Ihre Vorbilder im Kendo?
Y: Ursprünglich habe ich mich auf den sportlichen Aspekt von Kendo konzentriert. Mit der Zeit bin ich dann vielen verschiedenen Lehrern begegnet und habe Literatur gelesen und habe dadurch angefangen zu denken, dass viel eher die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sei.
M: Also sehr nah an Kendo-Rinen? Y: Genau. Kendo-Rinen wurde 1975 von der japanischen Kendo-Föderation veröffentlicht. Bis dahin entwickelte sich Kendo auch in Japan hin zu einem Sport. Der Fokus lag nur auf dem Wettkampf. Deshalb haben einige Lehrer darüber nachgedacht und Kendo-Rinen geschrieben, um Kendo als Budo-Disziplin zu bewahren.
M: Also beispielsweise Ogawa Chuutaro Sensei (Kendo Hanshi, 9. Dan)?
Y: Ganz genau! Ich habe ihn zwar nicht persönlich kennengelernt, aber ich habe ihn beim Kyoto Enbu Taikai gesehen. Wie er steht.
M: Er hat also seinen Eindruck hinterlassen? Y: Ja, aber damals 1979/1980 war ich selbst noch Anfänger. 2. oder 3. Dan. Da habe ich noch nicht ganz verstanden, was er gemacht hat. Aber an das Bild, was ich von ihm im Kopf habe, denke ich bis heute zu. Darüber hinaus waren die Bundestrainer seit 1979 meine Vorbilder, von denen ich viel gelernt habe. Seit 1992 bin ich dann auch regelmäßig nach Japan geflogen und habe viel beim Kyoto Enbu Taikai zugeschaut und dort viele Kendoka kennengelernt. Besonderen Einfluss auf mein Kendo hatte Ueda-Sensei (Kendo Kyoshi, 7. Dan). Durch die Begegnung mit ihm habe ich ein anderes Bild von Kendo bekommen. Damals wollte ich eigentlich selbst beim Kyoto Enbu Taikai mitmachen, aber er sagte, ich solle nicht mitmachen, sondern besser beobachten. Mitori-Geiko. Deshalb habe ich dann jedes Jahr aufmerksam zugeschaut und anschließend mit Ueda-Sensei gesprochen, was mir besonders positiv aufgefallen ist. Dadurch habe ich viel gelernt.
M: Diese Gelegenheit bietet er ja auch bei seinem Lehrgang in Deutschland, wenn er die Leute ab 6. Dan untereinander Keiko machen lässt und der Rest aufmerksam zuschauen darf. Y: Ja, seine Lehrmethodik ist etwas anders. Er hatte auch einen sehr guten Lehrer und sehr gute Kendo-Kollegen. In seiner Jugend war er auch aktiv und sehr erfolgreich im Wettkampf. Heute unterrichtet er daher sehr pädagogisch. Er war Professor für Sportwissenschaft an der Keio-Universität, hat dort auch Kendo gelehrt und kennt die Hintergründe. Er betrachtet Kendo in drei Aspekten. Als Hobbysport für allgemeine Gesundheit und Spaß, für Wettkämpfer und Ambitionierte als technischen (Leistungs-)Sport und als pädagogisches Werkzeug.
M: Er setzt sich also für eine breite Betrachtungsweise von Kendo ein und dafür, dass alle Kendo so betreiben sollen, wie sie es selbst möchten?
Y: Genau. Egal ob man Kendo aus sportlichen Gründen betreibt, als Budo-Disziplin oder nur, um Spaß zu haben, das ist alles okay. So wie auch im normalen Leben sollten alle selbst entscheiden, wie sie Kendo betreiben möchten. Das sehe ich genauso wie Ueda-Sensei.
M: Und wem möchten Sie gerne danke sagen aus Ihrem Kendo-Leben?
Y: Zunächst einmal sämtlichen Präsidenten des Deutschen Kendobunds. Wolfgang Demski, Rainer Jättkowski, Detlef Viebranz und jetzt Uwe Kumpf für Ihre organisatorischen Mühen, die sie sich für uns gemacht haben. Natürlich auch bei allen Bundestrainern, die nach Deutschland gekommen sind, um hier Kendo zu lehren, und bei der Zen Nihon Kendo Renmei und allen Personen, die daran mitwirken, dass jährlich Bundestrainer nach Deutschland kommen und uns helfen. Und bei meinem Kendo-Umfeld. Allein kann man kein Kendo machen. Meine Kendo-Kollegen sind für mich sehr wichtig.
M: Welcher Kendo-Moment, an den Sie sich erinnern, war für Sie besonders?
Y: Wenn ich Kendo sehe, gibt es manche Tachiai oder Wettkämpfe, bei denen die Kontrahenten eine sehr große, intensive Spannung aufbauen und dann einen hervorragenden Ippon schlagen. Dann denke, dass beide gut harmoniert und sehr ehrlich gekämpft haben. An drei erinnere ich mich noch sehr gut. Einmal vor vielen Jahren beim Kyoto Enbu Taikai waren das Nakakura Kiyoshi-Sensei und Ogawa Chuutaro-Sensei, beim Kyoto Enbu Taikai 2012 Sakudo-Sensei und Masago-Sensei und neulich beim Tokyo Kendo Festival Ujiie-Sensei. Diese Kämpfe sind mir besonders in Erinnerung geblieben auf Grund ihrer sehr intensiven Spannung, dann gab es eine Lücke, die dann mutig ausgenutzt wurde und in einem Ippon endete. Das ist faszinierend. Ein bisschen wie beim Autofahren und dann kommt es plötzlich zu einem Unfall.
M: Nur unangenehm.
Y(lacht): Ja, das ist unangenehm. Aber so intensiv und spannungsgeladen sollte Kendo sein. Aber wir klauen oft Punkte und sind nicht zu 100 Prozent vorbereitet. Aber wenn man so ehrlich und spannungsgeladen Men schlagen kann, das ist schön.
M: Hatten Sie jemals eine Kendo-Krise, eine Pause oder eine Verletzung, die Sie vom Kendo abgehalten hat? Y: Nur unfreiwillig von 1982 bis 1984, als ich mein Haus umgebaut habe. Aber als das Haus dann fertig war, dachte ich, nächste Woche gehe ich zum Keiko. Bin ich dann aber nicht. Ich dachte wieder, nächste Woche gehe ich zum Keiko und bin wieder nicht hin. Da habe ich etwas gezögert, weil ich so lange kein Kendo gemacht hatte. Das war für mich eine interessante Erfahrung. Und dann bin ich doch einfach wieder zum Keiko nach Köln gefahren. Aber während der zwei Jahre habe ich praktisch nur mit Hammer und Nagel Kendo gemacht.
M: Letzte Frage: Was möchten Sie der jungen Generation Kendoka sagen?
Y: Eigentlich möchte ich nicht sagen, „macht das so“. Im Leben ist nicht nur Kendo wichtig. Das Leben selbst ist wichtig, aber ich finde, Kendo hilft im eigenen Leben.
M: Dann vielleicht nicht als Appell, sondern als Tipp oder als Wunsch, wie sich Kendo entwickeln soll?
Y: Dann denke ich, dass sich Jugendliche nicht zu exzessiv auf den Wettkampf fokussieren sollten. Wettkämpfe sind auch wichtig, aber noch wichtiger ist, ein gutes Fundament aufzubauen. Nicht, die Leute schnell ausbrennen zu lassen. Kendo sollte man im Idealfall ein Leben lang betreiben. Aber in Japan hören die meisten nach der Highschool auf, weil sie so oft so hart trainieren mussten und keine Freizeit mehr hatten, um persönlichen Interessen nachzugehen. Nur Kendo. Das ist schade. Auch in Deutschland, wenn Leute viel Zeit und Mühe in Kendo investiert haben und dann aufhören. Das halte ich für besonders wichtig. Nicht nur Kendo beizubringen, sondern durch Kendo etwas für das Leben beizubringen. So kann mein Kendo zusammen mit meinem Leben wachsen und parallel laufen wie die Räder eines Autos. Dafür sollte die Jugendzeit im Kendo Spaß machen, dann kann man auch bis 60, 70 und darüber hinaus weitermachen und Spaß an Kendo haben.
M: Da sind Sie ja auch das beste Beispiel. Sie werden bald 74 Jahre alt und haben bis heute zu Spaß daran, Kendo zu machen und zu unterrichten.
Y: Ja, Gott sei dank! Ich bin gesund und ich habe einen sehr schönen Kreis mit guten Kendo-Kollegen. Darüber bin ich sehr froh! Und darüber, dass mir meine Familie die Zeit einräumt, dass ich Kendo machen kann. Ich weiß nicht, wie lange ich noch weitermachen kann, aber ich hoffe noch auf lange Jahre.
M: Das hoffen wir auch! Vielen Dank!
Y: Dankeschön!